Im Vorfeld der Jahrestagung von IWF und Weltbank (13.-18. Oktober) hielt die geschäftsführende Direktorin des IWF, Kristalina Georgieva, eine Rede mit dem Titel „Chancen in einer Zeit des Wandels“, in der sie die globalen Wirtschaftsaussichten und die wichtigsten politischen Prioritäten ansprach.
Georgieva merkte an, dass die globale Unsicherheit zunimmt – und auch weiterhin hoch bleiben wird:
„Seien Sie vorbereitet – Ungewissheit ist die neue Normalität, und sie wird bleiben.“
„Die Weltwirtschaft kommt besser zurecht als befürchtet“
Sie erklärte, dass die Finanzminister und Zentralbankgouverneure nächste Woche zusammenkommen werden, um die globalen Auswirkungen des wirtschaftlichen Wandels und der anhaltenden politischen Turbulenzen zu diskutieren.
Georgieva sagte, die Weltwirtschaft entwickle sich besser als befürchtet, aber schlechter als nötig. Sie erinnerte daran, dass, als der IWF im April tagte, viele Experten eine Rezession in den USA vorhersagten, die sich negativ auf den Rest der Welt auswirken würde. Stattdessen haben sich sowohl die USA als auch viele fortgeschrittene und aufstrebende Volkswirtschaften als widerstandsfähig erwiesen.
Der kommende Bericht über den Weltwirtschaftsausblick, der nächste Woche veröffentlicht wird, prognostiziert, dass sich das globale Wachstum in diesem und im nächsten Jahr nur leicht abschwächen wird. Georgieva erklärte:
„Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass die Weltwirtschaft im Allgemeinen dem starken Druck der verschiedenen Schocks standgehalten hat.“
Sie führte diese Widerstandsfähigkeit auf solidere politische Grundlagen, die Anpassungsfähigkeit des Privatsektors, Zölle, die sich als weniger schädlich erwiesen als befürchtet, und günstige finanzielle Bedingungen zurück.

Aufruf zum Schutz des Handels als „Motor des Wachstums“
Georgieva warnte davor, dass die Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft noch nicht vollständig getestet worden sei, und die Warnsignale deuten darauf hin, dass eine härtere Prüfung bevorstehen könnte.
Sie wies auf die weltweit steigende Nachfrage nach Gold hin und stellte fest, dass die monetären Goldbestände – begünstigt durch Bewertungseffekte und geopolitische Faktoren – inzwischen mehr als ein Fünftel der gesamten offiziellen Reserven ausmachen.
Zu den Handelsspannungen sagte sie, dass die Auswirkungen der Zölle noch nicht voll zum Tragen gekommen sind:
„In den Vereinigten Staaten könnte der Druck auf die Gewinnspannen zu einer stärkeren Weitergabe der Preise führen, was die Inflation anheizen und die Geldpolitik und das Wachstum beeinflussen könnte. Anderswo könnten Waren, die zuvor für den US-Markt bestimmt waren, umgelenkt werden und eine zweite Runde von Zollerhöhungen auslösen.“
Georgieva forderte die politischen Entscheidungsträger auf, den Handel als Wachstumsmotor zu erhalten und betonte, dass der Großteil des Welthandels noch immer nach festen Regeln abläuft.
Globales Wachstum wird im Durchschnitt bei 3% erwartet
Das mittelfristige globale Wachstum wird auf etwa 3% geschätzt und liegt damit unter dem Durchschnitt vor der Pandemie von 3,7%.
Georgieva stellte eine Verschiebung der Wachstumsdynamik fest: Chinas Dynamik verlangsamt sich, während sich Indien zu einem wichtigen Wachstumsmotor entwickelt. Sie forderte die asiatischen Volkswirtschaften auf, den regionalen Handel zu vertiefen, in den Bereich der Endprodukte und Dienstleistungen zu expandieren und die Reformen zur Stärkung des Dienstleistungssektors und des Zugangs zu Finanzmitteln zu beschleunigen.
Für die afrikanischen Länder südlich der Sahara sagte sie, dass Reformen angesichts der jungen und wachsenden Arbeitskräfte in der Region „enorme Erträge“ bringen könnten.
In Europa forderte sie die politischen Entscheidungsträger auf, grenzüberschreitende Hindernisse in den Bereichen Arbeitsmarkt, Handel, Energie und Finanzen abzubauen und ein einheitliches europäisches Finanz- und Energiesystem aufzubauen. Georgieva betonte, dass Europa in Sachen Dynamik des Privatsektors mit den USA gleichziehen muss.
Weltweite Staatsverschuldung wird bis 2029 100% des BIP überschreiten
Georgieva warnte, dass die weltweite Staatsverschuldung bis 2029 voraussichtlich 100% des BIP übersteigen wird, und zwar sowohl in den fortgeschrittenen als auch in den aufstrebenden Volkswirtschaften. Die steigende Verschuldung erhöhe die Zinszahlungen, erhöhe die Kreditkosten, schränke den fiskalischen Spielraum ein und verringere die Fähigkeit der Regierungen, Schocks abzufedern, sagte sie.
Sie äußerte sich besorgt darüber, dass die Entwicklungshilfe der fortgeschrittenen Volkswirtschaften für die ärmsten Länder der Welt weiter zurückgeht und forderte eine Haushaltskonsolidierung sowohl in den reichen als auch in den armen Ländern.
Länderspezifische Empfehlungen: U.S. und China
Für die Vereinigten Staaten, wo der private Konsum und die Haushaltsdefizite hoch sind und das Leistungsbilanzdefizit ein Niveau erreicht hat, das seit Anfang der 2000er Jahre nicht mehr erreicht wurde, forderte Georgieva umfassende Maßnahmen – einschließlich Schritten zur Reduzierung des Bundesdefizits und zur Förderung der Ersparnisse der privaten Haushalte.
Für China, wo die privaten Ersparnisse chronisch hoch sind und die Inlandsnachfrage aufgrund anhaltender Immobilienanpassungen und deflationären Drucks schwach ist, empfahl sie eine vorübergehende fiskalische Expansion in Verbindung mit einer dauerhaften fiskalischen Umstrukturierung.
Sie sagte, China brauche ein fiskalisch-strukturelles Paket, um den privaten Konsum anzukurbeln, zu einem neuen Wachstumsmodell überzugehen und die Wirtschaft wiederzubeleben – was auch dazu beitragen würde, die jüngste Abwertung des realen Wechselkurses auszugleichen.
Abschließend bekräftigte Georgieva, dass Anpassungsfähigkeit und internationale Zusammenarbeit der Schlüssel zur Navigation in einer Welt sein werden, in der Unsicherheit die Regel und nicht die Ausnahme ist.